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Öffentliches
Stimmen
Die Kompassnadel - Nachrichten des Deutschen
Pfadfinderbundes, Nr. 89:
"Wandern muß ich – wandern will ich…"
Gedanken zu einer neuen CD
Am nächtlichen Feuer, klein ist die Runde
der Gebliebenen. Das laute Lied hat ausgedient, die Menge ruht. Sie wird am
Morgen, der nur noch wenige Stunden entfernt ist, nichts vom Klang der Lieder
wissen, die nun beseelt gesungen werden. Die Wenigen haben lange warten müssen.
Es ist nun ihre Stunde der Sehnsucht, der stillen Leidenschaften und der
Wegsuche. Um die Zelte wandert derweil Nebel durch die Wälder – und Gleichmut
stillt des Tages Wunden. Sanft, innig, melodisch und seltsam klingen nun die
Verse. Und die Zeit steht.
Bereits Ende 2010 ist die zweite
Liedersammlung der beiden jungen Nerother Wandervögel Hauke und Alexander
erschienen. Auf die erste CD „Reiten, reiten durch die Nacht…“ aus dem Jahre
2009 folgte nun „Und wir träumen unter Sternen…“. Die Mischung aus altem Liedgut
und solchem aus eigener Feder scheint bei dieser CD noch besser gelungen zu sein
als bei der ersten. Mir gefallen, wie oben angedeutet, die melancholischen, mich
„entschleunigenden“ Lieder in besonderem Maße. Wunderbar berührend ist die
Melodie des „Wandern muß ich, wandern will ich“. Immer wieder schleicht sich mir
die Melodie auch am hellichten Tage in den Sinn und schenkt mir eine Spitze
bündischer Sinnlichkeit. Eingerahmt ist sie von den reduzierten und handwerklich
sauberen Gitarren-klängen. Im Anschluß daran melden sich weitere Lieder
ähnlicher Art in mir. „Von der Straße spring` ich in die Wiese“ beginnt eines –
und das Bild vom Rasten am Wegesrande auf Fahrt leuchtet vor dem inneren Auge.
Man möchte auf Fahrt gehen – sofort.
Die beiden Stimmen scheinen die 25 Melodien recht mühelos musizieren zu können.
Keine Unruhe, kein bündisches Geschrei ist in ihnen. Stattdessen das Gefühl für
Takt und Betonung. Einfach nur angenehm. Sicher läßt sich darüber streiten, ob
es manchmal nicht doch eine Prise mehr „Pep“ hätte sein können, aber auf genau
dieses Zugeständnis an die bündische „Hitverdächtigkeit“ scheinen sie gerne zu
verzichten.
Ist das Wesen des Liedes die Melodie? Sie
macht das verdichtete Wort zum Lied, erweckt Gefühl und Gedankenbild. Jene, die
davon nur wenig verstehen, mögen sich auf den einen oder anderen Text und seine
Herkunft sezierend stürzen und sie als verdächtig einstufen. In diesem
Zusammenhang muß ich in letzter Zeit immer mal wieder daran denken, wie wir als
Jungen auf dem Weg zum Heimabend in den Siebzigern in unserem Heimatörtchen laut
„Mütterchen Russland“ gesungen haben, und so die „Verherrlichung“ des damaligen
Feindes hinter der östlichen Mauer betrieben. So mancher schimpfte uns hinterher
– Kommunist ist jedoch niemand aus unserer damaligen Horte geworden. Wie
steril-sauber hat bündischer Gesang also zu sein?
Lust zu Aufbruch und Neubeginn verstrahlt
das „Die dunklen Tage sind vergangen“. Ein Frühlingslied für die ersehnte erste
Tippelei. Schnörkellos einfach und geradeaus hinaus, von aller Last befreit,
draußen ist man zu Haus! Geraten auch dem, der vielleicht eine Krise
abzuschütteln hat. Im „Zug nach dem Süden“ hört man den typischen nerothanen
Gesangsrhythmus: lebensbejahend und optimistisch. Wem es gefällt, der bekommt es
nicht mehr aus dem Sinn.
Bestellen kann man die CD, der ein aufwändig
und schön gestaltetes Liederheft von 20 Seiten beigelegt ist, nur im Internet –
sie ist als Liebhaber-Projekt nicht beim Großhandel gelistet, woraus sich auch
der günstige Preis von nur 12 € inklusive Versand erklären läßt. All jene, denen
die alten, fast vergessenen Lieder der Jungenschaften ebenso am Herzen liegen
wie neu entstandene Wandervogel-Weisen, verweise ich daher gerne auf
www.sternenreiter.com.
Bibo (DPB)
"Bündisches Liedgut" - Artikel in JF 31-32/11 (05.08.2011):
Die Jugendbewegung war einer der stärksten Impulse innerhalb
der Lebensreformbewegung des Kaiserreichs. Ihr Glaube, daß Jugend nicht nur die
Vorbereitung auf das Erwachsensein sei, sondern ein eigenes Recht beanspruchen
müsse, ist mittlerweile zu einem Bumerang geworden, der als Jugendwahn auf uns
zurückschlägt. Die Banalisierung des Selbstanspruchs ist dabei umfassend und
wird auch innerhalb der noch heute existierenden Jugendbewegung nur von wenigen
durchbrochen. Zu ihnen gehören ganz zweifellos Teile des Nerother Wandervogels.
Ausdruck findet diese Haltung in der neuen (zweiten) CD von Sternenreiter, die
sich unter dem Titel „Und wir träumen unter Sternen …“ dem bündischen Liedgut
widmet.
In den 25 Liedern wird ein weiter Bogen aufgespannt. Darunter
finden sich eigene Dichtungen von Hauke, dem Hauptverantwortlichen des Albums,
der die CD gemeinsam mit Alexander eingesungen hat. Begleitet werden sie dabei
immer von der Gitarre, manchmal von Violine und Violoncello. Die eigenen
Liedtexte sind vor allem in Liedform gegossene Fahrtengedanken, die seit den
Anfängen der Jugendbewegung ein unerschöpflicher Quell musikalischer
Selbstvergewisserung sind. Daß Sternenreiter diese Tradition fortführt, ist ein
wichtiges Verdienst und soll sicher nicht zu passivem Hörgenuß verleiten.
„Trinklied zur Nacht“ verbleibt textlich dabei etwas in den
gewohnten Klischees vom „schweren roten Wein“ und „vergeßt all eure Sorgen“,
zeigt aber in der Vertonung eine eingängige Melodie. Bei den Eigenkompositionen
„Dem Frühling“ und „Lied eines Studenten“ verhält es sich ähnlich. Bei letzterem
fällt auf, daß es offenbar schwierig ist, gleichzeitig die gegenwärtige Welt in
Worte zu fassen und an die bündische Tradition anzuschließen, ohne das
„Mägdelein“ zu bemühen. „Wandern muß ich, wandern will ich“ und
„Fahrtenabschied“ wirken dagegen ursprünglicher und lassen noch den
Schöpfungsprozeß erahnen. Bei „Neuruppiner Reiter“ hat sich Hauke von
Oechelhaeusers Kriegsroman „Wir zogen in das Feld“ inspirieren lassen. Hier
gelingt ihm der Brückenschlag zwischen den Generationen, formuliert als Klage
über die Wucht des Krieges.
Viele der weiteren Lieder auf der CD sind Neuaufnahmen von
bekannten und weniger bekannten Liedern, die so vor dem Vergessen bewahrt werden
sollen; die Vertonungen eignen sich durch das schlichte Arrangement gut zum
Nach- oder Mitsingen. Andere Lieder sind Vertonungen von Gedichten („Zwei
Vöglein“ von Walter Flex“) und auch Lieddichtungen jüngeren Datums, wie
„Namenlos sind“, das unter dem Eindruck eines grasüberwachsenen
Soldatenfriedhofs auf einer Großfahrt durch Siebenbürgen entstanden ist.
Insgesamt bilden die Lieder einen möglichen Querschnitt durch
das bündische Liedgut, das ja nicht nur aus den üblichen „Gassenhauern“ besteht,
sondern darauf achten muß, die Vielfalt zu bewahren und möglichst zu ergänzen.
Die Liedfolge der CD ist wohlbedacht, hebt mit Marsch in den Tag an, verzweigt
sich dann in verschiedene Erlebnisse und Gedanken, um dann in der Abendruhe zu
enden. Schließlich ist das beiliegende, zwanzigseitige Liederheft überaus schön
gestaltet. Wer sich für bündisches Liedgut interessiert, wird daran seine Freude
haben.
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